MTB-Fahrwerk Glossar: Alle Begriffe erklärt!
Federkennlinie, Negativkammer und Shim Stack - Soweit klar? Falls nicht, hilft Dir unser Glossar zum Thema Mountainbike-Federung.
Du kennst die Basics und willst mehr erfahren über die physikalischen Hintergründe, die an einem Laufrad wirken? Wir erklären Dir die Zusammenhänge.
Laufräder gehören zu den imposanteren Erfindungen am Fahrrad: Bei relativ geringem Gewicht halten sie immense Kräfte aus und entscheiden maßgeblich über die Fahreigenschaften Deines Rads. Wenn Du Dir Custom-Laufräder bauen und dazu tief in die Materie einsteigen oder einfach etwas besser verstehen willst, warum Systemlaufräder bestimmte Eigenschaften besitzen, findest Du hier einige theoretische Aspekte, die es zu wissen lohnt.
Wir kennen am Fahrrad zwei grundlegend unterschiedlich funktionierende Laufradkonstruktionstypen. Das Druckspeichenrad folgt dem Prinzip hölzerner Kutschenräder aus dem Mittelalter: Die einwirkenden Kräfte stützen sich von der Nabe in wenigen dicken Speichen nach unten zur Felge ab. Diesem Prinzip folgen auch noch modernste Drei-, Vier- oder Fünfspeichenlaufräder aus Carbon, wie sie am häufigsten im Triathlon- oder Aero-Bereich Verwendung finden. Die überwältigende Mehrzahl der Laufräder am Fahrrad ist jedoch als Zugspeichenrad mit deutlich mehr Speichen konstruiert. Die Systemmasse und alle fahrdynamischen Einwirkungen hängen förmlich mit der Nabe an (dem oberen Teil) der Felge. So bietet das Rad das optimale Gewichts-Stabilitäts-Verhältnis.
Speichen aus dünnem Draht sind deutlich stärker auf Zug als auf Druck belastbar. Die Felge ist hingegen recht druckstabil. Die auf Zug belasteten Speichen erfahren im Betrieb eine elastische Längenänderung. Darum müssen die Speichen soweit vorgespannt sein, dass das System die kurzzeitige Dehnung kompensieren kann. Die am unteren Teil entlasteten Speichen dürfen sich nicht vom Felgenboden abheben. Solches Lösen und wieder Anspannen würde eine Kerbwirkung zwischen Speichenbogen und Nabenflansch verursachen – und die Speiche an dieser Stelle schwächen. Aus diesem Grund muss die Vorspannung möglichst hoch und möglichst gleichmäßig sein. Bei ausreichender Vorspannung aller Speichen verteilen sich so die Belastungsspitzen beim Sprinten, Springen und Vollbremsen gleichmäßig auf alle Last-tragenden Speichen. Trotzdem solltest Du es mit der Speichenspannung nicht übertreiben. Gerade Carbonfelgen sind in dieser Hinsicht beim Aufbau etwas empfindlich und brechen eher, als dass sie sich verbiegen. Beachte also unbedingt die Herstellerangaben von Nabe, Nippeln, Speichen und Felge und verwende im Zweifel, aber besonders wenn Du Carbonfelgen einspeichst, ein Tensiometer. Der Zusammenhang aus Speiche und Felge macht das theoretische, lotrechte Laufrad in sich stabil, sodass es vertikale Kräfte aufnehmen kann. In der Realität muss das Rad aber auch extremen torsionalen und seitlichen Einwirkungen standhalten. Die Aufnahme dieser Kräfte wird durch mindestens zwei Nabenflansche möglich. Die beidseitige Abstützung ergibt den Winkel der Speichenscheiben und kann hohe Kräfte aufnehmen – vergleichbar etwa mit dem Mast eines Segelboots, der seitlich von den vorgespannten Wanten an Ort und Stelle gehalten wird.
Sollte eine Speiche brechen, sind die anderen Speichen zunächst in der Lage, die auftretenden Kräfte zu kompensieren. Dies kann aber auf Dauer zu einer Überlastung der benachbarten Speichen führen, weshalb die beschädigte Speiche alsbald ersetzte werden sollte.
Der Nabenflansch stützt die Speichen seitlich ab, so dass sie auch Verwindungen in horizontaler Richtung standhalten können. © bc GmbH
Auf das Laufrad wirken verschiedene Kräfte, die von unterschiedlichen Konstruktionsmerkmalen adressiert werden. Vertikale Kräfte wirken etwa auf das Laufrad, wenn Du auf Dein Fahrrad aufsteigst: Über die Ausfallenden im Rahmen wird diese Kraft in die Nabe geleitet und hängt so im Speichengeflecht am oberen Felgenbogen. Nach unten zeigende Speichen werden dabei leicht entlastet. Am stärksten wirkt die vertikale Kraft, wenn Du auf einen Bordstein auffährst oder einen Sprung landest. Seitliche Kräfte treten beim Kurvenfahren oder im Wiegetritt stark auf, aber auch schon bei der Sinus-Pendelbewegung, mit der Du geradeaus fährst. Deine Laufräder nehmen diese Kräfte mit der seitlichen Abstützung der Speichen auf. Hinterräder generell und Vorderräder mit Scheibenbremsen sind asymmetrisch, das heißt, die Winkel der Speichen sind nicht auf beiden Seiten gleich, weil der Nabenflansch eingerückt wird, um der Bremsscheibe bzw. der Kassette Platz zu machen. Da die Felge mittig über der Nabe sitzen muss, ist automatisch die Spannung der Speichen auf der Seite mit dem stumpferen Winkel höher als auf der Seite mit dem spitzeren Winkel. Je breiter Deine Nabe und je spitzer der Speichenwinkel, desto stabiler ist Dein Laufrad. Zur Stabilität trägt auch die Ähnlichkeit der Speichenwinkel und der Vorspannung bei – symmetrische Laufräder sind hier also klar im Vorteil. Asymmetrische Felgen helfen, eine höhere Stabilität herzustellen, indem ihr Mittelpunkt in Richtung der spitzeren Speichenwinkel verschoben ist (beim Hinterrad also nach links, beim Disc-Vorderrad nach rechts). So werden die Speichenwinkel etwas angeglichen und oftmals benötigt man nur eine Speichenlänge. Torsionale oder Rotationskräfte leitest Du in Dein Rad ein, wenn Du be- oder entschleunigst. Die Kraft, die Deine Beine über die Kurbel in die Kette einleiten, kommt über das Ritzel und den Freilauf in den Nabenkörper und versucht, die Nabe gegen die Felge zu verdrehen. Bei Scheibenbremsen (aber auch Rücktritt oder Trommelbremsen) gilt das gleiche, nur in die umgekehrte Richtung.
Bei radialer Einspeichung stellt die Speiche die kürzeste und direkte Verbindung zwischen Nabe und Felge dar – ihre gedachte Verlängerung fluchtet durch den Mittelpunkt der Radachse. Radiale Laufräder sind darum seitenstabil und leicht. Bei der Aufnahme der tordierenden Drehmomente durch Beschleunigen oder Bremsen (Scheibenbremse, Rücktritt) hilft die radiale Speichung nur wenig, da sie nur geringe torsionale Kräfte übertragen kann. Darum eignen sich radiale Räder am besten als ungebremste Räder (z. B. am Anhänger) oder als felgengebremste Vorderräder. Die Antriebsseite des Hinterrads und die Scheibenbremsseite vorn und hinten sollten deshalb nicht radial eingespeicht werden. Um Rotationskräfte besser aufzunehmen, müssen die Speichen flacher in der Nabe ankommen. Ideal wäre ein rechter Winkel zu einer Linie, die die Achsmitte schneidet. Dabei fungiert der Nabenflansch als Hebel: Je größer der Flanschdurchmesser, desto stabiler ist das Laufrad. Das ideale Verhältnis aus Gewicht und Stabilität bietet die Dreifachkreuzung, weshalb diese bei Fahrrädern am weitesten verbreitet ist. Die Zahl der Kreuzungen besagt, wie viele Speichen eine Speiche zwischen Nabe und Felge kreuzt. Bei der klassischen Dreifachkreuzung kreuzt jede Speiche ihre erste, dritte und fünfte Nachbarspeiche. Sie liegt dabei über den ersten beiden kreuzenden Speichen, aber unter der dritten.
Früher wurden beim Rennrad sehr weiche, dünne Felgen verwendet. Der extrem hohe Luftdruck (10–12 bar), den die damals üblichen, sehr schmalen Reifen (18–21 mm) benötigten, komprimierte die Felge – und verringerte so die Speichenvorspannung. Als die Reifenbreiten langsam wuchsen, wurde das Problem weniger relevant, modernere Felgenformen und bessere Materialien taten das eine, breitere Reifen (23–25 mm) mit entsprechend geringerem Luftdruck (6–9 bar) das andere. Beim Mountainbike spielte das Phänomen früher quasi keine Rolle. Seitdem die Tubeless-Technologie sich aber durchgesetzt hat, sitzen die Reifen deutlich straffer auf der Felge. Die höhere Formschlüssigkeit beider Bauteile durch geringere Fertigungstoleranzen verbessert das luftdichte Abschließen des Systems. Sobald aber der Reifen vollständig im Felgenhorn sitzt, komprimiert er die Felge. In Folge dessen verringert sich die Vorspannung der Speiche, weshalb Tubeless-Laufräder höher vorgespannt werden müssen. Die Herstellerangaben zum Systemgewicht des Rads und dem entsprechenden Luftdruckbereich solltest Du deshalb bei der Auswahl von Felgen und Reifen beachten.
Wenn Du Custom-Laufräder für Dein Mountainbike baust, kannst Du mit verschiedenen Faktoren beeinflussen, ob das Rad lieber maximale Steifigkeit oder eine gewisse Elastizität aufweisen soll. Es gibt hier unterschiedliche Philosophien, die sich zum Beispiel auch in Systemlaufrädern wiederfinden: Der vom Motocross-Motorrad z. B. auf moderne E-Mountainbikes übertragene Ansatz besagt, dass das Hinterrad möglichst steif und breit sein soll und auch kleiner sein darf, weil es die Antriebskraft überträgt, in Kurven den höheren seitlichen Kräften ausgesetzt ist und agiler sein soll. Das Vorderrad darf hingegen gern etwas mehr „compliant“ sein, um ein Maximum an Traktion bereitzustellen. Darum ist es etwas schmaler und größer. Viele Mullet-Laufradsätze, also vorn 29 und hinten 27,5 Zoll, tragen dieser Überlegung genauso Rechnung wie etwa die Systemlaufradsätze der Crankbrothers-Synthesis-Familie. Der gegenteilige Standpunkt argumentiert für steifere Vorderräder im Sinne maximaler Lenkpräzision und etwas flexibler konstruierte Hinterräder, die dem Untergrund besser folgen. Ein Extrembeispiel dieser Philosophie war etwa der gemeinsam mit Fabien Barel entwickelte erste Mavic-Crossmax-Enduro-Laufradsatz mit 24 Speichen vorn und nur 20 hinten. Voll auf Compliance und gezielten Flex zur Traktionsmaximierung setzt Zipp mit der 3Zero-Moto-Linie, die statt der üblichen Hohlkammer- sogenannte Einwandfelgen aufweist, die es dem Laufrad ermöglichen, sich um den Nippelsitz gezielt zu verwinden und so die Auflagefläche des Reifens auf dem Untergrund vergrößern. Zipp nennt das in Anlehnung an das biomechanische Vorbild des menschlichen Knöchels ankle compliance.
Welcher Ansatz für Dich und Deinen Fahrstil am besten taugt, kannst nur Du selbst entscheiden. Und das ist auch das Schöne an einem individuell zusammengestellten Laufrad: Du entscheidest im Rahmen der physikalischen Möglichkeiten, welche Kriterien Dir wie wichtig sind, und kannst so das beste Laufrad für Dich bauen. Jede Menge Tipps dazu findest Du in unseren weiteren Thementexten zum Laufradbau: