Ein Mann, ein Zelt, ein Fahrrad. Teil 2: Polen olé
Endlich im Ausland! Polen nur mit dem Fahrrad erreicht zu haben, ist ein gutes Gefühl. Trotzdem kamen die ersten negativen Gedanken auf. Mehr erfahrt Ihr hier.
Die ersten Kilometer Polens sahen aus wie Deutschland und fühlten sich ebenso an. Doch schon im nächsten Ort zeigten sich erste Unterschiede. Straßennamen, Werbetafeln und Menschen waren zweisprachig.
In mir machte sich die Freude breit, im Ausland zu sein – und es mit dem Fahrrad erreicht zu haben. Allerdings war sie gepaart mit dem gleichen mulmigen Gefühl, das ich am Tag meiner Abreise verspürte. Ich fühlte mich etwas verlassen und auf mich allein gestellt, obwohl das natürlich nicht mehr der Fall war als vor dem Grenzübertritt. Ich wischte das Negative beiseite, bestätigte meine Einreise, indem ich im erstbesten Sklep (Supermarkt) ein Snickers kaufte und die Rechnung aufbewahrte.
Eine kostenlose Fähre bei Świnoujście (Swinemünde) brachte mich und eine Gruppe älterer Damen, die mich interessiert über mein Rad und Vorhaben ausfragten, auf die andere Kanalseite. Auf dem nächsten Stück, entlang einer breiten Landstraße, offenbarte sich mir dann der erste Unterschied zum sehr fahrradfreundlichen Deutschland. Es gab keinen Radweg, sondern lediglich einen Seitenstreifen. Autos und LKWs rauschten nur so an mir vorbei, hielten dabei aber (fast) immer genügend Abstand.
Das Kontrastprogramm folgte nach der nächsten Ortschaft in Form eines ausgedehnten Naturschutzgebietes. Unterschied Nummer zwei zu Deutschland: Polens Natur ist deutlich weniger kommerziell ausgeschlachtet. Die kleinen Seen, mit denen der Wald gespickt war, hatten weder Zäune noch Pommesbuden und lagen ursprünglich und glasklar am Wegesrand.
Am Ende des Weges befand sich ein Campingplatz, der mir, direkt am Wald und einem See gelegen, erst sehr sympathisch, auf den zweiten Blick aber etwas skurril vorkam. Es standen einige etwas in die Jahre gekommene Wohnanhänger herum und ich wusste nicht, ob der Platz saisonbedingt überhaupt noch geöffnet war, denn ich schien der Einzige dort zu sein. Erst nach längerem Suchen und Klopfen fand ich jemanden und entschied mich, auch aufgrund der schönen Lage und dem Preis von umgerechnet vier Euro, zu bleiben. Ich machte es mir an einem Tisch gemütlich, um zu schreiben, als mich eine Frau freundlich unterbrach und um Hilfe mit ihrem Oldtimer bat.
Wir gingen zu ihrem Wagen, der wohl komische Geräusche machte, und schnell stellte sich heraus, dass sie einen 78er Camaro LT hatte und der Motor zu viel Öl. Ich kam in den kurzen, aber freudigen Genuss, den Wagen die verbleibenden 500 Meter auf den Campingplatz zu fahren, wo sich am nächsten Tag ein Mechaniker der Sache annehmen würde. Bei der Gelegenheit lernte ich auch Jürgen und Margit kennen, die mich herzlich zum Abendessen einluden. Wir hatten einen sehr netten Abend und erzählten viel. Überhaupt waren die Leute auf dem kleinem Platz sehr nett. Ich fühlte mich richtig wohl und war froh, meinem ersten Eindruck gefolgt und die Nacht geblieben zu sein.
Erstes Streckenhighlight des folgenden Tages war der einsame Pinienwald. Fast drei Stunden lang sah ich keinen einzigen Menschen, bis langsam die Vororte von Kołobrzeg (Kolberg) auftauchten. In der Stadt selbst erlaubte ich mir eine vorgezogene Pizza – es war Samstag – und suchte online das billigste Pokoje. Zweites Highlight des Tages war die Entscheidung, dann nicht das Zimmer zu nehmen, sondern doch wild und direkt an der Ostsee auf einer Düne zu campen. Auch das erste Mal Wildcampen in Polen war ein voller Erfolg und die Aussicht (unter anderem) beim Zähneputzen am nächsten Morgen ebenfalls.
Der nächste war leider der letzte Tag mit sommerlichem Wetter. Gegen Mittag fand ich ein Sofa am Strand mit Blick aufs Meer, nahm die Gelegenheit wahr und aß mit bestem Appetit und Ausblick.
Landeinwärts ging es dann (mal wieder) über schlechte Straßen, durch alte Dörfer mit alten Kirchen, vorbei an Feldern und einstiger Industrie aus sozialistischen Tagen, bis ich schließlich, mangels einer besseren Möglichkeit, an einem etwas unschönen Waldstück mein Zelt aufschlug. Ein Wildschwein kam am Abend, doch habe ich aus meiner letzten Erfahrung gelernt und es diesmal mit Trillerpfeife und Händeklatschen frühzeitig verscheucht.
Am nächsten Morgen – ich war gerade wieder an der Straße – hatte ich meine erste „Panne“. Jedoch nicht am Rad, sondern an einer der Taschen. Eine Schraube, die die Tasche mit der Halterung für den Gepäckträger verbindet, hatte sich durch all die holprigen Straßen aus ihrem Plastikgewinde gelöst. Es war zwar einfach den Schaden zu beheben, aber in Warschau würde das Plastik definitiv durch Metall ersetzt. 40 Kilometer Landstraße später erreichte dann ich die kleine Stadt Słupsk. Meine Beine wollten nach elf Tagen Ostseetour mal wieder eine Pause und so kaufte ich nach längerem Abwägen ein Zugticket nach Gdynia. Die verbleibenden 30 km nach Danzig radelte ich aber wieder und steuerte gleich auf das Hostel zu, das ich während der Zugfahrt ausfindig gemacht hatte. Meine Ostseetour war damit (fast) zu Ende. Der Wind blies kaum aus Westen – meistens nämlich gar nicht –, mein Hintern hielt die 820 Kilometer bravourös und vor allem schmerzfrei durch und ich freute mich auf zwei volle Tage Pause in Gdansk (Danzig).