Ein Mann, ein Zelt, ein Fahrrad. Teil 3: Der Masuren-Kandidat
Was schlecht beginnt, endet meist gut. Nach einem Softwareupdate spielt das Navi verrückt. Lies, was Jörg alles auf dem Weg von Danzig nach Warschau erlebt
Was schlecht beginnt, endet meist gut – dieser Spruch trifft definitiv auf den ersten Tag nach Danzig zu. Navigationssoftwareupdates führten anfangs zur Konfusion und stutzten die eigentlich auf 460 Kilometer angelegte Strecke nach Warschau entlang der Weichsel um satte 110 metrische Längeneinheiten – doch 350 km waren nicht genug für sieben Tage.
Für die ersten beiden Etappen nach Hamburg und Polen klicke einfach die beiden folgenden Links, ansonsten lies einfach hier weiter.
Dansk in Polen
Eigentlich hatte ich die Pausentage in Gdańsk sinnvoll genutzt.
Bei nahezu konstanter Nahrungszufuhr – Frühstück wurde im Hostel vier Stunden lang ohne Aufpreis gereicht – wurde mein Radreise ergänzt, und es wurden andere wichtige Dinge, dank unbegrenztem Internet, endlich erledigt. Ich konnte mich außerdem zweimal aufraffen, meine Beine mal wieder im Gehen zu üben und mir Danzigs historischen Stadtkern etwas ausführlicher beschauen. Beim zweiten Mal hatte ich mir über Couchsurfing lokale Verstärkung besorgt und Kamila und Martin am Bahnhof in Danzig getroffen, von wo aus wir die historisch wichtigen Hafendocks besuchten, die Anfang der 1980er Schauplatz der Entstehung der Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) waren. Mir war zwar die Thematik durch alte Punksongs bekannt, aber beide „Reiseführer“ schlossen bestehende Wissenslücken mit Freude und Können – nochmals vielen Dank.
Ein Eindruck von Danzigs historischem Stadtkern.
Meine Couchsurfing Reiseführer. Von links: Ich, Kamila, Martin
Weiter - Von Danzig nach Warschau
Das Einzige, was ich aber, wie angedeutet, in diesen erholsamen, produktiven und lehrreichen Tagen vernachlässigte, war eine gewissenhafte Routenplanung für die kommende Reise-Etappe bis Warschau.
Auf Wiedersehen Dansk.
So stand ich also an einer ruhigen Straße außerhalb Danzigs, aß einen just gepflückten Apfel und merkte, dass sich die ursprüngliche Route deutlich verkürzt hatte. Das mobile Internet war lähmend langsam und die Verbindung instabil, die Navi-App jedoch zur Routenneugestaltung darauf angewiesen. Ich war bereits landeinwärts geradelt, entschied mich aber, zur Küste zurückzukehren, über die letzte Nehrung vor Kaliningrad mit meinem Reiserad zu fahren, um dann lieber die westlichen Masuren der Länge nach zu durchfahren – anstatt entlang der Weichsel. Eine Stunde und mehrere Äpfel später war die neue Strecke dann endlich heruntergeladen, ein Großteil meiner Roamingmegabytes war aufgebraucht und ich verärgert, mich nicht vor meinem Abenteuer darum gekümmert zu haben.
Mit dem Bike auf der Fähre.
Gute 75 km Radtour später sollte laut Karte vom größten Städtchen auf dem Sandhaken eine Fähre dem Reisenden den doppelten Weg ersparen. (Ein Besuch in Russlands Exklave kam übrigens aufgrund von Visumsanforderungen leider nicht in Frage.) Doch auch hier hatten die touristischen Geschäfte bereits Winterpause und ich hoffte inständig, dass eine Überfahrt nach Tolkmicko noch möglich war. Regenwolken zogen auf, als ich am Hafen ankam und auf einen Mann bei einem kleinen Boot zuhielt. "Die letzte Fähre für dieses Jahr legt in 10 Minuten ab", sagte er in solidem Deutsch, und bat mich, mein Reiserad an Bord zu bringen. Ich konnte mein Glück kaum fassen und pries dankbar die Synchronizität, die mich als einziger Passagier an Bord, bei mäßiger Fahrt, zufrieden aufs Haff hinausblickten ließ und mir doppelten Weg ersparte. Michael, der Kapitän, gesellte sich für eine Zigarette zu mir an Deck und nach einem interessanten Gespräch über das Bootsmannsein organisierte er mir ein günstiges Pokoje im Ort. Der Samstag wurde wieder zum Sonntag – also zum Pizzatag und endete deutlich besser, als es der Anfang hätte vermuten lassen.
Ein alter IFA W50 mit Bootsanhänger.
Der Schlechtwetter-Härtetest
Diverse Straßentypen mit unterschiedlichen Belägen, ständiges Bergauf und -ab sowie Wind und Wetter stellten mich die nachfolgenden Reisetage auf eine harte körperliche und geistige Probe. Es begann kurz nach Tolkmicko – ich war noch frisch geduscht und eingekleidet –, als die Straße erst in einen Waldweg und dann in einen regelrechten Sumpf überging.
Fahren bei diesen Bedigungen ist eine harte Probe für Körper und Geist.
Fahren war längst keine Option mehr, als ich das bepackte Reiserad mühselig durch den Schlamm und Morast wuchtete, an dem sich offensichtlich vorher schon Traktoren äußerst schwer getan hatten. Zu allem Überfluss bog ich im Wald noch falsch ab, durchquerte einen Fluss, verfluchte die Navi-App, die dieses Moor als befahrbaren Weg deklariert hatte, und musste resigniert lachen, als ich merkte, dass ich falsch war, umkehrte und den Fluss abermals durchquerte. Über eine Stunde brauchte ich für knapp zwei Kilometer Schlammschlacht.
Eindrucksvolle Ruine.
Für den Rest des Reisetages waren die Straßen dann zwar asphaltiert, aber buckelig und löchrig. Der schöne Schlafplatz auf offenem Feld und das gute Abendessen entschädigten für die Strapazen. Des Morgens wurde allerdings die benachbarte Koppel geöffnet und eine Herde Kühe kam meinem Zelt alarmierend nahe, insbesondere da die Gehörnten unter ihnen bereit schienen, ihre grasenden Artgenossen rigoros zu verteidigen, und sie und mich nur ein dünner Draht, der wohl ein Zaun sein sollte, trennte. Ich machte mich lieber früher als später vom Acker und packte unter kritischen Kuhblicken mein Reisegepäck zusammen. Die Landstraßen und Autobahnabschnitte, auf denen es anschließend anderthalb Tage bei schroffem Gegenwind ostwärts ging, waren dafür in gutem Zustand – das Fahren war aber äußerst anstrengend und manchmal etwas gefährlich.
Prachtvoller Herbst.
Mikołajki- Das Venedig Polens
Unbeschadet erreichte ich an einem windigen, aber sonnigen Nachmittag die Kleinstadt Mikołajki. Der Ort – angeblich Polens Venedig – markiert den urban-touristischen Höhepunkt meiner Radreise und war ganz hübsch, hielt aber nicht, was der Reiseführer versprach. Den Ort schnell wieder in Richtung Süden verlassend, hatte ich nun wenigstens Rückenwind. Die Masuren sind ein extrem schöner und zu dieser Jahreszeit sehr ruhiger und einsamer Fleck Natur. Unzählige Seen prägen das Landschaftsbild und es war beruhigend, nur das Geräusch der Reifen auf dem Waldboden zu hören und keinen Verkehrslärm. Begleitet wurde es gelegentlich von dem Schrei eines Reihers, dem Klopfen eines Spechts und einmal sogar durch einen kleinen Sprung Rehe, der direkt vor mir aus dem Wald geschossen kam und den Pfad überquerte. Ein abgelegener Zeltplatz an einem See ließ mich abends nochmal naturnah Kraft tanken, bevor es am nächsten Tag bei guter Laune – trotz kaltem Regen – ins 115 km entfernte Maków Mazowiecki ging. Abends spendeten Dusche und Heizung im einzigen Hotel der Stadt, das eher an ein Freudenhaus erinnerte, Wärme und waren nötig, um mich und meine Sachen auf die verbleibenden zwei Tage der Radreise vorzubereiten.
Das Wetter ist halt Glückssache.
Der Masurensee
Masurensalat
Noch einmal Schlafen und weniger als hundert Kilometer lagen zwischen mir, der Hauptstadt und dem Wiedersehen mit meiner Freundin und ihrer Familie. Die Masuren hatte ich bereits hinter mir und gerne hätte ich sie intensiver bereist, damit Mutter Natur Geist und Seele gründlich reinwäscht. Doch nicht mehr in diesem Jahr, denn die letzte Nacht vor den Ruhetagen in einem Mischwald war zwar entspannt, zeigte aber auch, dass die Grenzen der Ausrüstung bei gefühlten -3° C bald erreicht sind. Ich beschloss, mich anschließend etwas zu beeilen, um in wärmere Gefilde zu kommen.
Bio-Wäscheständer. :-)
Der Morgennebel von Warschau.