Ein Mann, ein Zelt, ein Fahrrad. Teil 6: Der letzte Tourist
Als letzter Tourist fährt Jörg durch Italien mit dem Etappenziel Korsika. Auf den Spuren seiner Oma besichtigt er die Sehenswürdigkeiten Italiens.
Es war noch dunkel, als ich nach einer wenig erholsamen Nacht aus dem Zug stieg und vor dem Hauptbahnhof alle abnehmbaren Teile wieder am Rad montierte. Im Zug konnte ich mir das Abteil mit einer netten Familie teilen. Ich hatte zwar einen Schlafplatz unter den Sitzen auf dem Boden gefunden, aber nur wenig schlafen können, da ich mitten in der Nacht zwei andere Passagiere von meinem Rad verscheuchen musste, die es sich darauf bequem gemacht hatten. Auf gut Glück fuhr ich los und fand die Innenstadt und die Basilika Santa Croce von Florenz auf Anhieb. Ich war schon einmal hier gewesen, erkannte den Ort und mir wurde freudig bewusst, dass ich mich nun in Italien befand.
Die schönsten Kirchen stehen in Italien.
Der Schiefe Turm von Pisa- ein touristisch überbewertetes Stück misslungener Baukunst?
Der Plan war, gegen Mittag in Pisa zu sein und mich am schiefen Turm mit einer Freundin aus Aachen zu treffen, die ihren Kurzurlaub im warmen Süden Europas verbringen wollte. Warm wurde es auch schnell, als ich, trotz schlechten Schlafs, energiegeladen über die Ausläufer der Toskana fuhr. Ich kam flott voran und schaffte die gut 90 Kilometer bis 13 Uhr. Es hatte mich immer ein wenig geärgert, bei meinem ersten Italienbesuch nicht den Schiefen Turm von Pisa besichtigt zu haben, obwohl dieser wahrscheinlich nur ein touristisch überbewertetes Stück misslungener Baukunst war. Zu meiner positiven Überraschung ist der Turm richtig schief und richtig schön. Jana traf wenig später ein – tadelloses Timing – und wir gingen erst mal einen Kaffee trinken, um erst danach den Turm in Ruhe zu bestaunen. Bei einer heißen Bohne verschafften wir uns einen Überblick über Korsika, denn die französische Insel war unser eigentliches Ziel.
Sonnenuntergang
Die Baustelle die viel Zeit kostete.
Die Fähre dorthin legte am nächsten Morgen von Livorno ab. Jana nahm den Zug und ich das Rad und ich dachte mir, dass die 25 Kilometer eigentlich kein Problem sein sollten. Doch zahlreiche Hindernisse, inklusive einer vollgesperrten Brücke, über die ich nur kam, indem ich Bauzäune aufbrach und mein Fahrrad durch die Maschinen manövrierte, ließen mich nur langsam vorankommen. Der Kanal, an dem ein Großteil der Strecke entlangführte, war aber herrlich und immer wieder hob ein Schwarm schwarzer Wildenten von der Wasseroberfläche ab, um einige hundert Meter später wieder zu landen, um dann abermals von mir aufgescheucht zu werden. Ich erreichte die Fähre später als erwartet, aber noch rechtzeitig. Jana hatte sich bereits um die Tickets gekümmert und kurze Zeit später lief das Schiff aus, während wir es uns an Deck in der Sonne bequem machten. Die Überfahrt war sehr entspannt und gute vier Stunden später erreichten wir Bastia.
Jana und ich bei der Überfahrt.
Die Skyline von Bastia, :-)
Das Städtchen war ganz nett, aber wir wollten nicht bleiben, sondern den Zug nach Calvi nehmen, um den Küstenort als Ausgangspunkt für diverse Wandertouren zu nutzen. Mein Radreiseführer hob explizit hervor, dass die Fahrradmitnahme in Zügen auf Korsika kein Problem sei, doch der Mann am Ticketschalter beharrte auf dem Gegenteil und so war ich gezwungen, die extrem bergige Strecke per Vélo zu bestreiten. Ich machte mich sogleich auf den Weg, allerdings nicht nach Calvi – das wäre zu weit gewesen – sondern nach L’Ile Rousse, knapp 70km von Bastia. Direkt hinter der Stadt ging es steil bergauf. Ich schwitzte wie ein Wasserfall, als ich mich schiebend die bis zu 15% Steigung hinauf kämpfte. Ich hatte noch nicht ganz die Hälfte erreicht, als ein Kastenwagen hielt und ein Mann mir bedeutete, mein Rad einzuladen. Er würde mich bis zum Gipfel fahren, obwohl er eigentlich nicht in die Richtung müsse. Ich wäre vor Dankbarkeit fast auf die Knie gefallen, packte meine Sachen ins Auto und stieg ein. 15 Minuten später standen wir oben, das Rad wieder bereit auf der Straße und Guy zeigte mir auf einer alten Karte den Weg.
Allein für solche Bilder lohnt sich schon die Reise.
Die Landschaft war wahnsinnig schön und ich genauso glücklich wie schnell, als ich den Berg wieder hinunter jagte. Es folgte ein langer, aber seichterer Anstieg, der erst zu Ende war, als die Sonne langsam unterging. Das letzte Stück wurde zur Landstraße, die ich im Dunkeln fuhr und auf der mir die Autos manchmal gefährlich nah kamen, obwohl die Korsen insgesamt sehr rücksichtsvolle Autofahrer sind. Jana hatte versucht, online eine Unterkunft zu finden, war aber erfolglos geblieben und ebenso fertig mit der Welt wie ich, als ich sie am Bahnhof empfing. Wir fanden glücklicherweise schnell ein günstiges Hotel, das nicht im Internet aufgeführt war, holten uns eine Pizza – ja, Sonntag – und aßen sie erschöpft auf dem Zimmer. Es war, trotz der unerwarteten Strapazen, insgesamt ein sehr toller Tag.
Blaustes Wasser auf Korsika.
Drahtesel am korsischen Strand.
Wir wechselten am nächsten Tag den Standort. Jana nahm wieder den Zug und ich das Rad und wir trafen uns auf halbem Weg nach Calvi, um an einem Strand zu entspannen. Der 1. November markiert das offizielle Ende der Reisesaison und somit schlossen die meisten Hotels und auch die Strandferienhäuser dort waren überwiegend verlassen. Später in Calvi nahmen wir uns eines der wenigen verfügbaren Hotels und während Jana am nächsten Tag erneut auf Wanderschaft ging, wollte bzw. musste ich meinen strapazierten Beinen und Füßen eine Pause gönnen. Ich setzte mich in ein Café, um Erlebtes literarisch aufzuarbeiten, doch schreibblockiert wie ich war, gab ich es bald wieder auf.
Endlich oben!
Wir aßen am letzten gemeinsamen Abend in einer Pizzeria – obwohl Donnerstag – und verabschiedeten uns am nächsten Morgen am Bahnhof, von wo Jana den Hinweg in exakt umgekehrter Reihenfolge antrat. Ich machte mich gegen Mittag auf den Weg zurück nach L’Ile Rousse, denn am folgenden Abend sollte mich von dort eine Fähre nach Marseille bringen. Ich wusste allerdings nicht, wo ich übernachten sollte: Hotels und Campingplätze hatten geschlossen und Zelten war auf Korsika schwierig und außerdem streng verboten. Ich versuchte mein Glück also in dem Ort mit den größtenteils verlassenen Ferienhäusern am Strand, in der Hoffnung, eine überdachte Terrasse zu finden, die mir für die Nacht Schutz vor dem angekündigten Regen geben würde. Und tatsächlich entdeckte ich eine geeignete Veranda, inklusive Wasserhahn, Steckdose und Meerblick. Ich verbrachte einen ruhigen Abend, machte möglichst keine Geräusche, denn alleine war ich in der Siedlung trotz allem nicht. Am frühen Morgen packte ich ein und entging nur knapp einem Handwerker, der seine Arbeit früh auf dem Nachbarbalkon aufnahm. Ich rollte kurze Zeit später im Hafen ein, setzte mich in ein Café voller Einheimischer und fühlte mich wie der letzte Tourist, der darauf wartet am Abend zum Festland zurückzukehren.
Spiegelbild
Warten auf die Fähre.