Erfahrungsbericht Scott Genius LT 700 Tuned
Nach einem Jahr mit dem Scott Genius LT Tuned kann ich eins sagen: „Der Carbonrahmen ist das Letzte, was an diesem Bike kaputtgehen wird."
Es ist Mitte 2015 und nach einem Jahr Scott Genius LT 700 tuned möchte ich meine Erfahrung mit euch teilen. Letztes Jahr zur Megavalanche bin ich das Genius 700 LT tuned Modell 2014 das erste Mal gefahren. Die Premiere auf einem Carbonbike war für mich schon etwas Besonderes, wobei ich auch sehr skeptisch gegenüber diesem Werkstoff gewesen bin. Auch ich war mit Vorurteilen behaftet, die ich mit diesem Bike abstellen wollte. Was störte mich an Carbon? Es ist kein Metall und dadurch weniger stabil? Es ist ein Kunststoff und dadurch Plastik? Es besteht aus Fasern und Layer und Schichten, ist also nicht aus einem Stück. Die Fasern und Matten werden unter Vakuum miteinander verbacken und nicht geschweißt. Doch das sind keine Gründe, sondern nur Rohstoffe und Fertigungsverfahren, die nichts über die Stabilität und Haltbarkeit aussagen.
1 Jahr unterwegs mit dem Scott Genius LT 700 Tuned
Nach einem Jahr kann ich eins sagen: „Der Rahmen ist das Letzte, was an diesem Bike kaputtgehen wird. Über das 2014er Modell wurde viel geschrieben und gesprochen. Am heftigsten kritisiert wurde das Fahrwerk. Die Gabel rauscht durch und sackt in Anliegern und Absprüngen weg. Der Dämpfer rauscht durch den Federweg bzw. macht bei schnellen Passagen einfach zu und verhärtet. Das 2014er Genius 700 LT tuned bin ich sechs Monate gefahren und ich konnte die Aussagen der Zeitschriften nicht nachvollziehen. Ich selbst bezeichne mich als agilen Biker, was bedeutet, dass ich nicht einfach den Lenker festhalte und Vollgas geradeaus über alles drüberbügle, was kommt. Ich suche mir die Linien, mache mich leicht auf dem Rad und mache lieber einen BunnyHop zu viel und springe lieber etwas weiter. Ich suche die komfortabelste Linie und nehme immer so viel Schwung mit wie geht. Aus diesem Grund kam mir das alte Fahrwerk mit der 34 Float CTD Gabel und dem Fox Nude CTD sehr entgegen. Auch der TwinLoc Hebel hat mir sehr gut gefallen, da ich auf dem Trail mein Fahrwerk sofort den Gegebenheiten anpassen konnte.
Leicht machen und ab in die Luft
Twin-Lock
Zum Bike selbst
Als mir Anfang 2015 das 2015er Genius 700 LT tuned vorgestellt wurde, war eine Fox 36 Float Factory CTD FIT Air verbaut. Diese fühlte sich sofort kompetenter an und langsam begriff ich, was die Journalisten alle mit ihrer Kritik in ihren Berichten über das 2014er Fahrwerkssetup meinten. Dennoch hatte ich damals nie das Gefühl, etwas ändern zu müssen. Auf den ersten Endurorennen und auch am Gardasee war das Bike für mich perfekt. Auch mit dem Umbau der SRAM X01 Gruppe auf die aktuelle Shimano XT M8000 Zweifach-Gruppe gefällt mir das Bike richtig gut. Es tritt sich sehr gut berghoch und die 170mm Federweg langen bergab allemal.
Bremsscheibe
Geometrie
Bei 78kg Fahrergewicht fahre ich die Gabel mit 70psi und den Dämpfer hinten mit 170psi. Der Reifendruck liegt hinten bei 1,9bar und vorne bei 1,7bar. In der L´er Rahmengröße gibt das Genius eine gute Laufruhe über den längeren Radstand.
Wer noch mehr Laufruhe erzielen möchte, kann den Radstand und die Tretlagerhöhe variieren. Zum Lieferumfang gehört eine zusätzliche Lagerschale. Mit dieser kann der Lenkwinkel um 0,7° verändert werden. Die Tretlagerhöhe kann über einen Flipchip am Hinterbau angepasst werden. Diesen einfach um 180° drehen und die Schraube an der Dämpferaufnahme wieder festziehen.
Das Komplettbike
Mein persönlicher Aha-Effekt
Auf der TrailTrophy in Latsch kam aber das bisher größte Aha-Erlebnis. Mit Daniel von Fox habe ich die Fox 36 Float CTD Kartusche gegen die Float RC2 Kartusche getauscht. Das Ganze hat 15 Minuten gedauert und die Performance war sofort spürbar. Nach der TrailTrophy habe ich mich einen Nachmittag mit der Low und der Highspeed Druckstufe beschäftigt und jetzt hatte ich den direkten Vergleich und konnte die ganzen Testberichte des Vorjahres nachvollziehen. Die Einstellungen, die mit der RC2 Kartusche durch externe Einstellschrauben möglich sind, sind in anderem Umfang bei der Factory CTD FIT Air Kartusche auch durch internes Shimtuning umsetzbar. CTD oder permanentes Feintuning am Fahrwerk gilt es abzuwägen. CTD ermöglicht ein schnelles Switchen zwischen den voreingestellten Zug- und Druckstufen-Einstellungen des Dämpfers bis hin zum fast kompletten Lockout für Uphills. Das macht die CTD Werkseinstellung von Scott/Fox jetzt nicht schlechter, zeigt aber auf, wie unterschiedlich die Ansätze zum Setup des Fahrwerks sein können.
Das Bike macht enorm Spaß beim Trailsfahren, und es macht Spaß, auf der Abfahrt zwischen dem Trail und Descent Modus hin und her zu switchen. Kommt ein Gegenanstieg, heißt es in den Climb Modus zu wechseln, die Reverb auszufahren und mit vollem Druck auf das Pedal berghoch zu pedalieren. Es ist irgendwie befreiend, da es nur die drei Möglichkeiten plus Zugstufe gibt. Das Biken rückt noch mehr in den Vordergrund und der Gedanke, mit wie vielen Clicks ich das Fahrwerk optimieren kann, entfällt.
RC2 Kartusche
In nur 15 Minuten gewechselt
Alte Kartusche raus, neue rein
Fazit
Das Scott Genius 700 LT tuned ist ein sehr tretfreudiges Endurobike. Bergab bringt es jede Menge Spaß, wenn man es mit Druck und gezielter Linienwahl aktiv fährt. In der serienmäßigen Ausstattung bekommt man ein wirklich sorgenfreies Bike. Die 36Fox und der Fox Nude Dämpfer arbeiten völlig überzeugend. Wem das Fahrwerk zu viel Komfort bietet oder wem es zu wenig Reserven hat, kann hier mit einem Shimtuning gegenarbeiten. Die von Fox und Scott erarbeitete CTD Abstimmung, bedienbar über den TwinLoc Hebel, ist wirklich nicht zu unterschätzen. Sie lenkt den Fokus beim Biken wirklich auf das Fahren. Die XTR Bremsen und die SRAM X01 Schaltkomponenten liefern zuverlässige Performance und nach einem halben Jahr musste ich lediglich einmal die Kette wechseln und die Bremsbeläge tauschen. Gewöhnungsbedürftig ist das niedrige Tretlager. Dies gibt einem das Gefühl, kompakt im Bike zu sitzen, aber beim Reintreten in Kurven und über Unebenheiten ist Vorsicht geboten. Hier setzt das Pedal gerne mal auf. Auch wenn das Bike seinen Preis hat, es ist ein zuverlässiger Begleiter auf deinen Touren, der mit geringer Wartung und geringem Ersatzteilverschleiß auskommt. Die 12,5kg bewegen sich sehr verspielt auf dem Trail, wenn man es dazu kommen lässt.
So schnell möchte ich das Bike nicht hergeben, aber hier werde ich leider nicht drumrumkommen.