Im Test: ORTLIEB GeDicht des Monats – E-Glow, L...
Licht und Lenkertasche, das waren bis dato getrennte Zubehörteile. Ortlieb hat sie vereint. Und macht Radfahren in der Stadt so deutlich sicherer.
Nach der Europa-Premiere in Riva: Bikepacking-Rucksack ORTLIEB Atrack BP im Check. Oder die Frage: Wann kommt Bikeswimming?
Auf der Messe „OutDoor“ 2018 zeigte ORTLIEB wieder einmal, dass Deutschland das Land der Dichter und Denker ist. Bzw. müsste es im Fall von Hartmut Ortlieb eher Land der Denker und Dichter heißen. Denn der Firmengründer und Obertüftler des fränkischen Wasserdicht-Spezialisten vereint diese beiden historisch uns als Nation angedachten Eigenschaften par excellence: Erst denkt er gründlich nach, dann kommt etwas genial Dichtes dabei raus. Im vorliegenden Fall war es der Rucksack Atrack, der seit Jahresbeginn erhältlich ist. Dass ORTLIEB Rucksäcke baut, ist per se nichts Neues. Doch der Atrack ist anders. Intern wurde ihm der Arbeitstitel „Ruffle“ verliehen – ein Hybrid aus Rucksack und Duffle. Vereinfacht gesagt: Dort, wo „normale“ Rucksäcke eine Rückenplatte oder einen Netzrücken haben, verläuft der wasserdichte Tizip Reißverschluss, und zwar über den gesamten Rücken. Großzügiger Zugriff wie bei einer Reisetasche, Tragekomfort wie bei einem Top-Outdoor-Rucksack – und das Ganze natürlich nach Standard IP67 wasserdicht. Ein Allround-Rucksack von der Weltreise bis zum SUP- oder Packrafting-Trip. Mehrfach wurde der Atrack für dieses neue Konzept mit Preisen und Awards ausgezeichnet. Doch Hartmut & Co. hatten schon neue Hintergedanken. Für die Marke ORTLIEB ist Biken ihr genetisches Erbe, gleichzeitig streben die Franken danach, zukünftig den Rucksackmarkt aufzumischen. Und hoppla, Bikepacking ist eine DER heftig wachsenden Trendsportarten, und die spezielle Bikepacking-Produktserie von ORTLIEB verkauft sich – nochmal hoppla – blendend. Die logische Konsequenz: Am 11. April feierte auf den Sea Otter Classics im sonnigen Kalifornien der „Atrack BP“ Weltpremiere und am vergangenen Wochenende in Riva Europa-Premiere. Eine Variante speziell für Bikepacker (BP). Folgerichtig im edlen Anthrazit-Zwirn mit orangen Zugriemen, passend zum Rest der Bikepacking-Kollektion.
Der Atrack BP ist zwar 100 Prozent wasserdicht, macht aber auch bei Sonnenschein Spaß.
Was ist anders am BP?
Wie unterscheidet sich die „BP“-Version vom normalen Atrack? Klar, die Farbgebung orientiert sich als phänotypisch eindeutiges Merkmal an ORTLIEBs sehr erfolgreicher Bikepacking-Serie, die Größe entspricht mit 25 Litern Volumen der kleinsten Atrack Normalversion. Das Material ist allerdings ein Mix aus zwei unterschiedlichen, PU-beschichteten Nylon-Geweben. Die Seiten- und Rückenteile bestehen aus dem etwas leichteren RS21R Ripstop-Material, die Front auf Grund des häufigeren Wildbodenkontaktes aus dem etwas stärkeren PS33-Gewebe. Eine sinnvolle Mischung – funktionell wie auch optisch. Die großen Hüftflossen wurden gegen kleinere Auflage-Pads getauscht, passend zur schrägen Körperhaltung des Bikers. Die Silhouette ist schmal, der Rucksack insgesamt angenehm kompakt. An den dezent integrierten zahlreichen Materialschlaufen (Daisy Chains) in Kombination mit den mitgelieferten Kompressionsriemen und der Helm-Halterung oder dem optional erhältlichen Zubehör wie Attachment Kit sind den Befestigungsgelüsten kaum Grenzen gesetzt. An beiden Seiten sind zudem flexible Netztaschen angebracht für mehr Stauraum und schnellen Zugriff.
TIZIP – Weltmarktführer als „Inhouse“-Lösung
Das Herzstück des Atrack ist der Zugang. Ein laaanger Reißverschluss, der zwischen den gepolsterten Rückenauflagen und den Schultergurten verläuft, öffnet den gesamten Corpus der Länge nach. Der Türöffner ist von Tizip, was bedeutet: komplett wasserdicht. Auch hier hat Denker und Dichter Hartmut Ortlieb zugeschlagen. Nicht nur, dass er bereits 1998 aus Unzufriedenheit mit den am Markt erhältlichen wasserdichten Reißverschluss-Lösungen seine eigene, tatsächlich funktionierende Variante erfand und die Marke Tizip gründete (die mittlerweile Weltmarktführer für wasserdichte Reißverschlüsse ist und im selben Gebäude wie ORTLIEB residiert und vor sich hin tüftelt).
Schmale Silhouette - windschnittig und buschfreundlich.
Auch ist der Zipper für den Atrack die beste Version, die es je gab – extra für dieses Modell. Leichtgängiger und trotzdem 100 Prozent zuverlässig. Wer also sein Bike lieber in Calais stehenlassen und durch den Ärmelkanal nach Dover schwimmen möchte, der Atrack – BP oder nicht – würde das locker mitmachen. Und das Handtuch wäre an der britischen Küste garantiert trocken. Sollte also die Extrem-Version von Bikepacking irgendwann „Bikeswimming“ sein, gäbe es bereits jetzt Ausrüstung dafür.
Auf den ersten Blick etwas komplex wirkt die Riemenkonstruktion an der Frontseite. Die orangen Straps halten die spitz zulaufenden Duffle-Enden auf Zug, Diesen Design-Kniff braucht es, um einerseits dem Auge mit kompakter Form zu gefallen und andererseits lästiges Material zu verstauen. Hat man aber einmal kapiert, wie das System funktioniert, ist es ein Kinderspiel: Mit Zeige- und Mittelfinger den Riemen an den Reißverschlussenden lockern und in die Gerade ziehen, den Atrack „aufs Kreuz legen“ und den Zipper nach gusto öffnen, am besten natürlich komplett, dann ist die Erreichbarkeit ans Innenleben maximal.
Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, dann aber kinderleicht: Beim Öffnen des Tizip-Reißverschlusses einfach das Ende zwischen Zeige- und Mittelfinger hochziehen, Reißverschluss öffnen, Zugriff.
Einfach durch die Lasche ziehen... Vor dem Öffnen Riemen lockern und Reißverschluss begradigen.
Für den vollen Zugriff aufs Innenleben will der Atrack "aufs Kreuz gelegt" werden.
Ein Blick ins garantiert furztrockene Interieur
Apropos Innenleben: Dort warten vier Reißverschlusstaschen darauf, mit Riegeln, Handy, Geldbeutel, Flickzeug und Co. befüllt zu werden. Darunter – und das erfordert manchmal etwas Geduld – ist der Innen-Kompressionsriemen angebracht. Ihn zu nutzen, macht vor allem dann Sinn, wenn a) Gegenstände wie Zelt oder Bekleidung sauber im Rucksack fixiert werden sollen, und b) wenn das gute Stück prall gefüllt ist und durch den Zug das Schließen des Reißverschlusses etwas erleichtert wird.
Für deinen Schlüssel hat Hartmut gleich „oben links“ einen Clip angebracht. Warum der nicht in einer kleinen RV-Tasche wie bei normalen Rucksäcken integriert ist? Haben wir uns zuerst auch gefragt. Aber da man seinen Schlüssel meistens nur kurz rausholt oder verstaut, reicht es bei dieser Platzierung, den großen Rücken-RV nur eine Handbreit zu öffnen. Macht also Sinn.
Auch ein eigenes, optional erhältliches Trinksystem wurde für den Atrack entwickelt – inklusive Thermoschutztasche, damit das Wasser an heißen Bike-Tagen nach Stunden noch kühl ist. Der Clou: Ein Dicht-Adapter ist serienmäßig beim Atrack an Bord. Selbst mit eingefädeltem Schlauch ist der Rucksack so immer noch wasserdicht. Nur verlieren sollte man genau diesen Adapter eben nicht…
Echter Rucksack oder nur Drybag mit Trägern?
Wer jetzt denkt, der Atrack BP sei doch einfach ein Drybag mit Schulterträgern, der irrt gewaltig. Vorweg: ORTLIEB ist mit der Atrack-Serie angetreten, um ernsthaft im Rucksack-Markt den Etablierten ein paar Marktanteile wegzunehmen – und wer die Franken kennt, der ahnt, dass Hartmut & Co. solche Projekte sehr vernünftig angehen. Das Tragesystem ist eine sehr gelungene Kombination aus Komfort (großvolumige, luftdurchlässige und damit sehr angenehme Polsterungen) und Minimalismus. Auch ergonomisch ist die Trägerführung sehr angenehm. Mit Lastkontrollriemen kann der Schwerpunkt und Rückenabstand nach Bedürfnis und Situation angepasst werden, Hüft- und höhenverstellbarer Brustgurt sind eine Selbstverständlichkeit. Ein weiterer Kniff: Die Rückenlänge lässt sich sehr simpel per Riemenzug stufenlos einstellen – was bei 25-Liter-Rucksäcken absolut nicht die Norm ist.
Die Rückenlänge lässt sich durch Riemen stufenlos anpassen, ...
...was bei Rucksäcken in Daypack-Größe alles andere als die Norm ist.
Wie trägt und schlägt sich der Atrack BP in der Praxis?
Wer sich vorstellen kann, auf längeren Bikepacking-Trips einen Rucksack zu tragen und gleichzeitig nichts dagegen hat, einen wirklich richtig guten Allrounder von Reise bis Riden – noch dazu wasserdicht – zu haben, der sollte beim Atrack BP wirklich zugreifen. Hat man das Riemensystem einmal kapiert (FSK 6 oder jünger), ist der Zugang einfach, schnell und komfortabel. Klar, der Rucksack liegt dabei meistens auf dem Boden, ein klassisches Deckelfach gibt es nicht. Aber die Kombination aus Wasserdichtigkeit und Maximalzugang à la Reisetasche halten überzeugend dagegen. Nur noch ein Hinweis zum Schluss: Menschen mit kurzem Rücken könnten bei sehr niedrigem Lenkeraufbau und Kopf im Nacken den Rucksack am Hinterkopf spüren. Beim Schwimmen über den Ärmelkanal sollte das aber nicht weiter stören…
Fakten-Check ORTLIEB Atrack BP:
Durchs Unterholz mit Hochgeschwindigkeit.
Mit dem Atrack BP kann das nächste große Abenteuer mit dem Gravelbike kommen.
"Der Atrack BP ist wasserdicht, robust, individuell einstellbar und sehr komfortabel in der Organisation und dem Zugriff. Ein Allrounder, der seine Stärken vor allem dann ausspielt, wenn’s wirklich nass und dreckig wird."