Mit Neugier zu echten Abenteuern: 'Pfadfinder' Harald Philipp
Ausbrechen aus dem Alltag. Kopfüber ins Ungewisse. Am besten mit Bike. Genau dein Ding? Dann solltest du weiterlesen!
Traumpfade und Sackgassen – für Bike-Abenteurer Harald Philipp waren seine Trips in den Himalaya wie eine Achterbahnfahrt voller Höhen und Tiefen. In seinem neuen Buch „Pfad-Finder“ zeigt er, worauf es ankommt, wenn es darum geht, die richtigen Pfade einzuschlagen – auf dem Bike und im Leben.
„Weg! Ich will einfach nur weg!“ Wer hat diese Worte noch nicht lauthals ins Universum geschickt? Oder sich zumindest still danach gesehnt auszusteigen – jetzt, sofort? Jeder kennt das. Dann, wenn der Chef mal wieder nervt. Wenn Frau, Mann, Freund oder Freundin zicken. Wenn ein Termin den nächsten jagt und einem gefühlt die Luft zum Atmen nimmt. Wenn der Alltag die Träume des Lebens zu ersticken droht.
Um kleine und große Alltagsfluchten dreht sich auch Harald Philipps neues Buch „Pfad-Finder“. Doch es ist viel mehr als nur Inspiration schnell mal auszubrechen Haben doch Alltagsfluchten in der Regel den Haken, dass genau das, was man vergessen und verdrängen will, früher oder später zurückkommt. Wie im Rausch fühlt man sich großartig – und wacht hinterher verkatert auf. Harald will nicht einfach nur davonlaufen. Er unternimmt Reisen mit dem Bike, die wirken wie spannende Experimente, in deren Verlauf er erkennt: Es geht nicht um die verzweifelte Suche nach einem sorglosen Abenteurerleben voller Adrenalin-Kicks. Was mehr zählt, sind die großartigen Erfahrungen und Momente des Lebens, Begegnungen mit Menschen und Kulturen.
Trailqualität ist das eine, Kulisse das andere.
Harald Philipp
„Suchen ist immer ein Wühlen im Bekannten“, meint Harald. „Auf meinen Bike-Abenteuern habe ich jedoch Schritt für Schritt erkannt, es geht in erster Linie darum, sich dem Unbekannten und Unerwarteten zu öffnen. Das wiederum ist die Voraussetzung, wirklich Neues zu finden.“ Als Bikebergsteiger hat sich Harald Philipp (35), der aus Siegen stammt, aber längst in Innsbruck lebt, einen Namen gemacht – mit extremen Befahrungen auf schwindelerregenden Klettersteigen in der Brenta, durch wilde Karstfelsen in den Berchtesgadener Alpen und auf steilen Schotterreiß’n im Karwendel. Jahrelang war die Lust am Limit seine Triebfeder. Doch seine Abenteuer-Trips mit dem Bike haben ihn in den vergangenen Jahren in Welten jenseits des „höher, schneller, weiter, krasser“ geführt.
Das ultimative Abenteuer – ein zerbrechlicher Traum
Die Suche nach dem ultimativen Abenteuer ... das klingt erst einmal verlockend“, sagt Harald. Doch bisweilen führt sie in Sackgassen. Wieso? „Überhöhte eigene Erwartungen und unrealistische, idealisierte Vorstellungen können genau das Gegenteil von dem bewirken, was wir eigentlich suchen. Im Social-Media-Zeitalter haben wir bisweilen zu viele aufgehübschte, perfektionierte Bilder vor Augen. Wenn dann unsere tatsächlichen Erfahrungen damit nicht mithalten, sind wir enttäuscht.“ So erging es ihm auf seinem ersten Biketrip in Nepal. „Wir wollten entdecken, was andere nicht sehen“, fasst er die Idee der Bike-Expedition mit Ex-Trail-Weltmeister Tom Öhler zusammen. Eine Route sollte es sein, die so komplett noch kein Biker befahren hat.
In Haralds Kopf tanzen Bilder von staubigen Wüstentrails vor endlos hohen Gletscherwänden, auf die er im Internet gestoßen ist. Von saftig grünen Reisterrassen, idyllischen Dörfern, barfüssigen Sherpas mit Packsäcken am Rücken und Freudenfalten im Gesicht, von kleinen Kindern, die Bikern hinterherlaufen, und von bunten Gebetsfahnen vor tiefblauem Himmel. Ein Traum! Doch die Ankunft in Kathmandu ist für Harald ernüchternd. Es ist Vormonsunzeit. Wie ein permanenter sepia getönter Nebelschleier hängt der Smog über dem südlichen Himalaya. Die Tristesse ändert sich auch in den Bergen nur wenig. Vorbei an trostlosen Wellblechhütten buckeln Harald und Tom ihre Bikes bis auf über 4.000 Meter. Ohne ausreichende Akklimatisierung wird jeder Schritt zu einem körperlichen und mentalen Durchhaltetest. Hinzu kommen Magenprobleme. Den Rest geben Harald die Trails. Die Tour gleicht einer zehntägigen Alpenüberquerung unter Sauerstoffentzug, auf oft unfahrbaren Pfaden, gespickt mit fiesen Steinstufen. Ein Alptraum. Desillusioniert und frustriert lässt sich Harald am Ende in den Sitz des Fliegers zurück nach Europa fallen.
Vorbei an trostlosen Wellblechhütten buckeln Harald und Tom ihre Bikes bis auf über 4.000 Meter.
"Es geht in erster Linie darum, sich dem Unbekannten und Unerwarteten zu öffnen."
Eine Frage der Einstellung
Zuhause in Tirol können die großen Berge der Welt Harald erst einmal gestohlen bleiben. Er genießt es, noch nicht befahrene Routen an den steilen Karwendelgipfeln zu erkunden oder einfach auf seinen Hausrouten Spaß zu haben. Und langsam dämmert ihm: „Wäre ich ohne diese vorgefertigten Bilder und Vorstellungen im Kopf losgezogen, hätte ich in Nepal vielleicht alles ganz anders erlebt.“ Zudem gesteht er sich einen weiteren Fehler ein: die Arroganz des Abenteurers. „Ich dachte, ich könnte alles so machen wie zuhause in den Alpen, alles wäre so wie dort, nur noch großer, noch schöner.“ Er beschließt, seine Antennen neu auszurichten.
Anderthalb Jahre später bricht er zusammen mit seinem langjährigen Bike-Freund Martin Falkner wieder auf. Das Motto der beiden: Neugier statt überhöhte Erwartungen. Ein Perspektivwechsel, macht oft einen großen Unterschied.
Die Wahl der Ziele ist demütiger. Ein erster Akklimatisierungs-Trip führt Harald und Martin in die Annapurna-Region und liefert prompt die Bilder und Erlebnisse, die Harald auf der ersten Himalaya-Tour vermisst hat: staubige Trails in karger, baumloser Berglandschaft, im Hintergrund gigantische weiße Berge, im Tal einladende Dörfer, herzliche Menschen, grüne Reisterrassen und Klöster, vor denen in glasklarer Luft bunte Gebetsfahnen wehen.
„Es geht darum offen zu sein, die Dinge auf sich zukommen zu lassen“, erkennt Harald. Und er spürt: „Es ist gerade auch der Bruch mit den Idealvorstellungen, der das Abenteuer ausmacht.“ Zusammen mit Lila, einem einheimischen Guide, der schon auf Martins Hütte in Österreich gearbeitet hat, reisen Harald und Martin noch tiefer hinein in den Himalaya. Die Siedlungen der Dolpo-Region reichen bis auf 4.300 Meter und zählen zu den höchstgelegenen, permanent bewohnten Gebieten der Welt. Von dort führen nur noch Eselspfade und Wanderwege weiter hinein in die Berge.
Zuhause in Tirol können die großen Berge der Welt Harald erst einmal gestohlen bleiben.
Zusammen mit Freunden fährt Harald ihm schon bekannte Trails – und auch neue Touren.
Abenteuer Mensch
Tagelang steigen Harald und Martin ein einsames Tal hinauf – und haben dennoch nie das Gefühl wirklich oben anzukommen. „Bisweilen kam ich mir vor wie ein alpiner Sisyphos“, erinnert sich Harald. Doch er hat erkannt: „Die wahren Abenteuer solcher Reisen finden anderswo statt: in den Begegnungen mit Menschen.“ Mit dem alten Mann, neben den sich Harald wortlos setzt, und wortlos in dessen wettergegerbtes Gesicht lächelt, bis beide schmunzeln und das Gefühl haben, sich schon ewig zu kennen. Mit den johlenden Kindern, die Harald kilometerweit hinterherlaufen, um sich schließlich auf sein Bike zu schwingen. Mit der einfachen Familie im Bergdorf Kageni, deren Küche für ein paar Tage Haralds und Martins Zuhause ist. In zwei Wochen rocken die beiden Abenteurer zwei Trails. „Wenn ich die Touren nur an Höhenmetern, Trail-Kilometern und meinem Adrenalinspiegel messen würde, wäre ich besser in den Alpen geblieben“, sagt Harald. „Doch unsere zweite Reise war einer der beeindruckendsten Trips meines Lebens.“ Ein Trip, auf dem er viel gelernt hat, fürs Leben. „In den Bergen zu sein ist nicht nur ein Aspekt der lokalen Position, sondern auch ein emotionaler und geistiger Zustand. Entscheidend dabei sind Gefühle und Begegnungen mit Menschen.“ Und die haben im Grunde wenig damit zu tun, wie schwierig, hart oder lang ein Bike-Trail ist.
Lesenswert: Pfad-Finder
Von den Alpen bis in den Himalaya – jahrelang hat Mountainbike-Profi Harald Philipp auf schwindelerregenden Bergpfaden die Grenzen des Machbaren verschoben. In seinem neuesten Buch "Pfad-Finder" und dem begleitenden gleichnamigen Multimedia-Live-Vortrag "Pfad-Finder" führt der Bike-Profi seine Leser und sein Publikum in die entlegensten Berglandschaften Europas und Asiens. Dabei zeigt er zusammen mit Co-Autor Christian Penning auf inspirierende Weise, wie große und kleine Abenteuer helfen, neue Pfade im Leben einzuschlagen und sich selbst zu finden.
Harald Philipps Weg führt von den Hausgipfeln nahe Innsbruck zu vereisten Vulkanen in Sibirien, auf teils traumhaft schöne, teils gnadenlos harte Pfade im Himalaya, auf noch nie mit dem Mountainbike befahrene Berge in Nordkorea – und wieder zurück nach Tirol. Bewegende Bilder lassen einen diese Abenteuer hautnah miterleben.
„Die wahren Abenteuer solcher Reisen finden in den Begegnungen mit Menschen statt.“