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Kalt ist es geworden, aber Du bist noch immer heiß aufs Biken? Worauf es bei der Wahl des richtigen Wintertrikots ankommt…
Klassischer Winterwetterbericht nördlich des Voralpenlandes: 50 Prozent Schauerwahrscheinlichkeit bei maximal fünf Grad Lufttemperatur. Aber deshalb aufs Biken verzichten? Keinesfalls. Wenn die Radfahr-Motivation so positiv gelagert ist, dann muss nur noch die Frage nach der richtigen Bekleidung für die Bike-Runde geklärt werden. Was ist dabei am wichtigsten? Schutz vor Wind? Ein echter Lungenentzünder zu dieser Jahreszeit. Schutz vor Kälte? Das beantwortet schon die Sehnsucht nach dem Frühjahrs-Trainingslager. Schutz vor Nässe? Von Fall zu Fall. Letzteres lässt sich mit einer Regenjacke rasch und simpel lösen. Aber weil Umziehen unterwegs keine Option darstellt: Welches Trikot funktioniert sowohl als mittlere Lage zwischen Jacke und Base Layer, als auch „solo“ über der Unterwäsche, wenn es nicht regnet!?
Nun, beim naheliegenden Wort „Spagat“, den ein solches Bekleidungsteil vollführen muss, haben viele höchstens schmerzhafte Erinnerungen an ein niemals vollendetes Kunststück im Turnunterricht beim Schulsport. Im Radsport aber sollen gute Trikots für die kalte(n) Jahreszeit(en) genau das beherrschen: die vom Körper erwärmte Luft wie eine Art Isolationsschild um den Biker binden und von der kalten Umgebungsluft isolieren. Gleichzeitig muss das Bekleidungsstück aber „wissen“, wann genügend warme Luft im Trikot-Inneren vorhanden ist – und die überschüssige Wärme und Schwitzfeuchtigkeit dann auch nach außen entweichen lassen. Und den kalten Wind wegblocken. Je nach Materialmix, Art der Verarbeitung, nach Konstruktion und ob wattiert oder nicht, funktioniert das eine oder das andere besser. Genau darin besteht die Kunst bei der Herstellung eines funktionellen Trikots für Ausfahrten bei nass-kaltem, nur kaltem oder nur nassem Schmuddelwetter.
Hohes Tempo, Fahrtwind, kontinuierlich hohe Intensität: Diese Konstanz einerseits und der Wind andererseits sind die Knackpunkte bei Rennradbekleidung.
Hohe Intensität bergauf, oben kurze Pause, dann in die Abfahrt: Die Wechsel stellen das Bekleidungssystem vor echte Herausforderungen.
Denn zu allem Überfluss sind die genannten Aufgaben eines guten Bike-Shirts – benötigte Wärme binden, überschüssige Wärme abgeben, Wind blocken – nicht einmalig und somit statisch zu erledigen. Sondern sie stellen eine fortlaufende Herausforderung dar: Unter Belastung produziert der Körper kontinuierlich Wärme, heizt das Trikot von innen andauernd auf. Gleichzeitig kühlt die kalte Umgebungsluft das erwärmte Luftpolster fortwährend ab. Und das Trikot hat die komplexe Aufgabe, die richtige Balance zwischen Aufheizen von innen und Abkühlen von außen zu halten. So weit, so gut.
Richtig herausfordernd wird es für das Jersey dabei erst, wenn es durch Überziehen oder Ausziehen einer Jacke seine Lage im Schichtensystem verändert sieht. Sprich: Wenn es eben noch äußere Lage über einem Baselayer-Shirt war und jetzt zum Midlayer wird. Oder umgekehrt. Denn dann ist es plötzlich kaltem Wind ausgesetzt, der das mühsam erwärmte Luftpolster schneller wegfegt, als man selbst „Gefrierpunkt“ sagen kann. Oder es sieht sich einer weiteren Barriere, der häufig mäßig atmungsaktiven Regenjacke, in Sachen Wärme- und Schweißabtransport gegenüber.
Um diesen sehr variablen Anforderungen zu begegnen, bedienen sich die Bikewear-Hersteller unterschiedlicher Konstruktionen der Trikots. Denn es gibt zwar nicht das eine perfekte Shirt für alles, aber das muss es auch nicht: Kälteempfinden einerseits und der Wärmehaushalt andererseits sind von Radfahrer zu Radfahrer sehr unterschiedlich. Und zu aller Individualität kommt außerdem die Tagesform eines jeden Einzelnen hinzu. Was heute die perfekte Bekleidungskombination zu sein scheint, mag morgen trotz gleichbleibender Witterungsbedingungen schon wieder anders wahrgenommen werden. Obendrein ist das von Raddisziplin zu Raddisziplin etwas unterschiedlich.
Grundsätzlich können wir Radsportler bei Wintertrikots zwischen ungefütterten – der Fachbegriff lautet unwattierten – und gefütterten bzw. wattierten (Midlayer-)Teilen wählen. In beiden Fällen wird innerhalb der Bekleidungsschicht Luft „gespeichert“ und diese vom Körper aufgeheizt. Bei den wattierten Textilien ist es mehr Luft, bei den unwattierten weniger. Dabei spricht man im Fachjargon von Isolationsleistung.
Als Faustregel gilt, je höher die Intensität der Belastung, desto weniger Isolations-leistung benötige ich. Auf dem Rennrad etwa machen wattierte Trikots – solo oder unter einer Jacke als Midlayer getragen – höchstens Sinn, wenn es wirklich, wirklich kalt ist. In der Stadt, auf kurzen Strecken hingegen, wenn der Körper erst kurz vor dem Ziel auf Betriebstemperatur kommt oder man im Stop-and-Go womöglich Standzeiten zu erwarten hat, dann kann ein Midlayer mit passender Wattierung durchaus nützlich sein. Lange MTB-Abfahrten nach schweißtreibendem Aufstieg wiederum erfordern gute Ventilation im Uphill und Winddichtigkeit im Downhill. Wattierung? Eher suboptimal.
Im Bereich wattierter Textilien setzen die Hersteller auf Kunstfaser-Füllungen: Polartec Alpha beispielsweise ist ein Füllfaservlies, das im Verhältnis zur Füllmenge einerseits sehr gute Isolationswerte aufweist, gleichzeitig aber dem Abtransport von Schwitzfeuchigkeit nur in geringem Maß im Wege steht. Ähnliches lässt sich über bestimmte, eher dünne Primaloft-Wattierungen sagen. Im Grunde gilt: Je dicker die Schicht an Füllmaterial, desto besser das – Achtung: Experten-Slang – Wärmerückhaltevermögen. Aber auch umso schlechter der Wasserdampfdurchgang. Sprich, bei erhöhter körperlicher Belastung über einen längeren Zeitraum schmort man in dick gefütterten Kleidungsstücken irgendwann im eigenen Saft, was gefährlich sein kann, denn ein durchgeschwitzter Körper kühlt auch stärker aus. Es ist daher eine logische Folge, dass Daunenfüllungen im Radsport nix verloren haben. Die Isolationsleistung von Daune ist gewissermaßen „zu gut“. Zudem zieht Daune die Feuchtigkeit geradezu an, verklumpt dann aber – und vorbei ist es mit der isolierenden Wirkung.
Midlayer-Trikots ohne Wattierung bedienen sich für den Wärmeerhalt in den meisten Fällen einer speziellen Materialstruktur, um das gewünschte Luftpolster in Körpernähe zu behalten.
Temperaturempfinden ist hochgradig individuell, gerade unter Belastung. Zudem ist manch einer vorbelastet: MTB-Background links, Rennrad-Background rechts.
Der in Trikots für die kühlen oder gar kalten Tage verwendete Basisstoff, das Garn, stellt ebenfalls ein naheliegendes Unterscheidungsmerkmal dar: Die Spanne verwendeter Grundstoffe reicht dabei von relativ weit verbreiteten „einfachen“ Kunstfaser-Stoffen über Kunstfasern mit speziellem Aufbau (z.B. Hohlkammerfasern) bis hin zu Naturmaterialien wie Wolle. Oder ein Mix aus allen dreien. Und auch wenn die Ausgangsstoffe sich mannigfaltig unterscheiden, immer folgen sie dem Ziel, die richtige Menge an warmer Luft in der fertigen Materialstruktur zu halten. Dafür kommen neben unterschiedlichen Rohstoffen auch verschiedene Ver- und Bearbeitungstechniken zum Einsatz. Es wird gewebt und gestrickt, wobei Strickware aufgrund der Maschenstruktur initial mehr Luft binden kann. Dafür lassen sich Gewebe auf der Innenseite „bürsten“, sprich aufrauen. Der Effekt: In der vergrößerten Oberfläche kann mehr Luft gebunden und erwärmt werden als im Gewebe, dessen Innenseite nicht „gebrushed“ wurde. Zudem sorgt das Bürsten dafür, dass das Gewebe Feuchtigkeit schnell aufnimmt, diese flächig verteilt und gut nach außen abgeleitet wird. Im Vergleich mit Maschenware: ungefähr Gleichstand! Zweifellos ist Materialität aber häufig auch Geschmackssache. Zum Beispiel, weil bestimmte Hauttypen etwa mit Maschenware aus Wolle (oder Wollanteil) nicht klarkommen. Auch als Midlayer mit einem Unterhemd darunter nicht. In diesem Zusammenhang deshalb ein kleiner Exkurs in die Welt der Baselayer: Wird ein Teil als erste Lage direkt am Körper getragen, hat die Frage nach der Materialzusammensetzung und die Art der Weiterverarbeitung zu einem Stoff eine zentrale Bedeutung in Sachen Feuchtigkeitsabtransport von der Haut. Das werden wir aber in einem gesonderten Blog-Beitrag behandeln.
Genau wie Körper nicht gleich Körper ist, verlangt funktionelle Bekleidung auch eine Differenzierung von Körperteil zu Körperteil. Gemeint sind jetzt noch nicht einmal die äußersten Extremitäten, die eine gesonderte Beachtung in Sachen Kälteschutz bekommen sollten, sondern verschiedene Bereiche des Rumpfes, der Arme und der Beine. Brust und Bauch beispielsweise sind dem Wind stärker ausgesetzt als der Rücken. Der Bereich unter den Armen ist ein natürlicher Hitzeherd – und gleichzeitig wichtiges Areal, um das Klima innerhalb eines Trikots mit zu regulieren. Um den lokal sehr unterschiedlichen Anforderungen innerhalb eines Kleidungsstücks zu begegnen, setzen zahlreiche Hersteller auf so genanntes Bodymapping. Dabei konstruieren sie Bekleidungsteile so, dass die windzugewandte Seite durch dickeres Garn, partielle Wattierung oder winddichte Anteile dem gefürchteten Windchill (durch Windeinfluss hervorgerufene Differenz zwischen gemessener und gefühlter Temperatur) entgegentreten. Im Gegenzug werden windgeschützte Partien am Rücken, unter den Achseln oder auf der Rückseite der Oberarme davon ausgespart und mit Blick auf höhere Wasserdampfdurchlässigkeit konstruiert. Dadurch unterstützt das Bodymapping die natürliche Temperaturregulierung des Körpers, ohne dass man Einbußen beim Wind- und/oder Kälteschutz in Kauf nehmen muss. Auch Frontzipper, höhere oder niedrigere Kragenlösungen spielen dabei eine wichtige Rolle, schließlich lässt sich über einen im Anstieg geöffneten Reißverschluss das Klima im Jersey (oder der Jacke) nachhaltig beeinflussen.
Bodymapping folgt einem einfachen Grundsatz: Windzugewandte Körperpartien werden winddicht(er) verpackt.
Windabgewandte Partien (und jene mit ausgeprägter Hitzeentwicklung, z.B. unter den Armen) dienen der Ventilation.
Sämtliche Anstrengungen, Überlegungen und ausgefeilten Konstruktionen seitens der Bekleidungsmarken bringen allerdings nichts, wenn das Trikot nicht richtig passt. Natürlich geben sich die Hersteller deshalb selbst große Mühe, um die Schnitte der mittleren Lage bedarfsgerecht an die Anforderungen unterschiedlicher Radsport-Disziplinen anzupassen: Ein Rennrad-Trikot sitzt wegen der stark vornübergebeugten Position gänzlich anders als ein lässig geschnittenes Mountainbike-Trikot für Enduro-Piloten. Aber vor allem kann auch der Radsportler selbst die Performance eines Kaltwetter-Trikots beeinflussen. Denn in Sachen Größenwahl kann man richtig liegen – oder eben nicht. Wir erinnern uns: Die mittlere Lage soll Luft um den Körper binden, um daraus ein wärmendes Luftpolster in Körpernähe zu binden. Das funktioniert mit einem weit sitzenden, womöglich sogar zu großen Trikot keinesfalls. Nicht umsonst spricht man bei Sommermode gerne mal von luftiger Kleidung… Nur hilft uns das bei 5 Grad Außentemperatur herzlich wenig. Daher muss die isolierende Lage zwangsläufig nahe zur Körperoberfläche, sonst reicht die Heizleistung des menschlichen Körpers selbst unter Belastung nicht aus, um die körpernahe Luftschicht zu erwärmen. Zur groben Orientierung: Wenn die Geschwindigkeit relativ hoch und relativ konstant (=Rennrad oder Gravel-Bike) ist, dann funktioniert ein engerer Schnitt besser, denn obwohl großer Windeinfluss herrscht, gibt der Körper kontinuierlich viel Wärme ab und kann das relativ kleine Luftpolster im Trikot-Inneren gut auf Temperatur halten. Bei stark schwankender Geschwindigkeit, etwa im steten Wechsel von langen Auffahrten und anschließenden Abfahrten auf dem MTB, ist ein etwas luftigeres Klima im Uphill angenehmer, wenn man für den Downhill den Windschutz nicht vernachlässigt.
Je enger ein (Midlayer-)Bekleidungsstück am Körper anliegt, desto kleiner das Luftpolster. Bei stark schwankender Intensität kann ein etwas weiteres Trikot sogar angenehmer sein.
Auch wenn Temperaturempfinden und damit die richtige Klamottenwahl, wie schon erwähnt, hochgradig individuell ausfällt, gibt es dennoch einen relativ allgemeingültigen Merksatz: Ziehe Dich so an, dass Du in Ruhe neben dem Rad außer Haus bereits nach wenigen Minuten frierst. Dann steht dem Fahrspaß auch bei Mistwetter in der kalten Jahreszeit nichts im Weg. Apropos Weg: Den hat man im Winter als Biker meist für sich alleine. Das ist einer der großen Vorteile im Herbst und Winter!